Backe backe Kuchen

Das Märchen beginnt, wie alle Märchen beginnen, es war einmal….

Es war einmal ein blondes, hübsches Mädchen. Es lebte in einem Dorf und besuchte so oft es ging ihren geliebten Onkel Hans. Der hatte am anderen Ende des Dorfes seine kleine Bäckerei und schon von weitem konnte man den Duft von frischen Backwaren riechen.

Direkt nach der Schule machte sich Kathi, so hieß das blonde Mädchen, wie immer auf den Weg. Sie lief von der Dorfschule des Nachbarortes durch den Wiesengrund, hüpfte mit einem großen Satz über den Bach und rannte so schnell sie konnte durch den Obstgarten des alten Herrn Hesse. Als sie die ersten Häuser sah, wurde ihr Schritt etwas langsamer und sie freute sich jetzt schon auf irgendeine kleine Süßigkeit, die Onkel Hans immer, wie selbstverständlich, für sie bereithielt.

Kathi konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als in einer Bäckerei zu sein. Das geschäftige Treiben in der kleinen Backstube. Der große Holztisch, auf dem der Teig geformt wurde. Die vielen Mehlsäcke in der Ecke, die unterschiedlichsten Zutaten und Gewürze. Alles roch so gut und vor allem es schmeckte auch himmlisch. So war es nicht verwunderlich, dass Kathi den Wunsch hegte, selbst einmal Bäckerin zu werden. Noch nie hatte sie mit Jemandem über ihren sehnlichsten Wunsch gesprochen. Aber sie war sich ganz sicher, dass Onkel Hans diesen Wunsch auch so erraten hatte. Hatte er doch schon oft Kathis Hilfe erbeten, wenn der Lehrjunge krank war und die Arbeit überhandnahm. Auch in den Ferien half sie regelmäßig in der Bäckerei. So kannte sie sich schon recht gut aus und konnte auch so mache Arbeit übernehmen.

Onkel Hans Arbeit war weit über die Grenzen des kleinen Dorfes hinaus bekannt. Jeder, der einmal seine süßen Backwaren gekostet hatte, konnte nicht mehr davon lassen. Besonders der helle Zuckerguss war überaus beliebt und heiß begehrt. Es war sein Geheimrezept, das er niemandem verriet. Selbst Kathi wusste nur ungefähr welche Zutaten er nahm. Er drehte ihr immer den Rücken zu, wenn er den Guss mischte und erst, wenn er ihn auf sein Backwerk strich, ging er wieder etwas zur Seite. Immer wenn Kathi ihn fragte, wie er diesen Guss zubereite, knurrte er vor sich hin, brummelte sich etwas in seinen Bart und kniff ihr ein Auge. Eine richtige Antwort bekam sie nie.

Als Kathi durch die Hintertür in die Backstube huschte, zwinkerte ihr Onkel Hans fröhlich zu. „Na Kathi, ist die Schule schon aus, oder hast du dich schon vorher aus dem Staub gemacht? Da, der Guss ist gerade fertig, du könntest mir schnell zur Hand gehen und die Schmalzkuchen damit bestreichen.“

Die Bücher flogen in hohem Bogen in die hintere Ecke und Kathi machte sich mit Feuereifer an ihr Werk. Das ließ sie sich nicht zweimal sagen, ha, auf die Schmalzkuchen hatte sie sich doch so gefreut.

„Kathi“, begann Onkel Hans langsam, „ich habe gestern mit dem Bäcker aus Hölderich gesprochen. Du weißt schon, die übernächste größere Stadt in Richtung Meinbach. Der Franz sucht im Herbst einen Lehrjungen und kann niemanden finden, der so früh auf den Beinen sein will. Ich habe ihn gefragt, ob es auch ein Lehrmädchen sein darf, wenn sie fleißig und geschickt ist. Er war erst erstaunt, hat aber dann gesagt, dass er es ja mal versuchen könnte. Sicher musst du dort auch Arbeiten machen, die nicht zur Bäckerlehre gehören. Er wird das sicher ausnutzen, dass du ein Mädchen bist und dich auch viel putzen lassen. Aber es wäre eine Möglichkeit für dich. Ich weiß doch, wie gerne du auch Bäcker, oder Bäckerin, sein möchtest. Was meinst du dazu? Du bist doch jetzt fertig mit der Schule.“

Kathi wurde es heiß und die Hände wurden eiskalt. Der Hals war ganz trocken und die Zunge schwer. Erschrocken schloss sie die Augen. Sollte es wirklich wahr werden? Sollten sich ihre geheimsten Wünsche erfüllen? Sie konnte dem Onkel nicht sofort antworten, deshalb nickte sie nur vorsichtig.

„Ich habe übrigens mit meinem Bruder, deinem Vater, schon gesprochen. Er war im ersten Moment, so glaube ich jedenfalls, sehr erschreckt, hat aber dann nach einer Weile zugestimmt. Naja, das stimmt nicht so ganz. Ich musste schon etwas mehr und etwas länger reden. Aber dann hat er die Vorteile gesehen, die eine Lehre auch für ein Mädchen bringt und mir zugestimmt. Kathi? Kind so sag doch was…..“

Über Kathis Gesicht liefen ein paar Tränen, so sehr freute sie sich und sie fiel ihrem Onkel Hans um den Hals. „Danke“, rief sie, „du bist der allerbeste Onkel auf der ganzen Welt! Ich werde Bäckerin und weißt du was? Ich werde die beste Bäckerin aus ganz Hölderich, ach was sag ich, aus ganz Meinbach und Umgebung!“

Einige Jahre gingen ins Land.

Kathi stand eines Morgens vor der Tür der Bäckerei Kuschke in Hölderich und schloss die Ladentür auf. Wie jeden Morgen hatte sie in der Backstube angefangen, hatte Brote, Brötchen und süße Backwaren hergestellt und öffnete nun den kleinen Laden.

Ein fröhliches kleines Lied auf den Lippen band sie sich die weiße Schürze um. Gestern erst hatte Bäcker Kuschke ihr angeboten, weiter bei ihm zu arbeiten, aber das hatte Kathi ausgeschlagen, hegte sie doch größere Träume. Ein Wanderarbeiter hatte ihr vor ein paar Tagen von der Bäckerei Kleeberg in Meinbach erzählt. Bäckermeister Kleeberg suchte wohl dringend einen Nachfolger. Zuerst solle man dort vorstellig werden, ihm sein Handwerk vorzustellen, mit ihm zusammen arbeiten, um dann später vielleicht die Bäckerei zu übernehmen. Seit dieser Unterhaltung hatte Kathi keine Ruhe mehr. Unbedingt wollte sie nach Meinbach und hatte gestern, als Bäcker Kuschke ihr das Angebot gemacht hatte, direkt ihre Stellung gekündigt. Sie war gerne in Hölderich und sie hatte sich auch bei den Bäckersleuten sehr wohl gefühlt. Ihre Lehrzeit war nun schon ein paar Monaten beendet und ihr war schon immer klar, dass das nicht alles gewesen sein konnte. Bis Sonntag blieb sie noch hier in Hölderich, und am Montag ging es weiter, in Richtung Meinbach.

So vergingen die letzten Tage und am Montag packte sie ihren alten Koffer. Sie fuhr mit dem Pferdewagen des alten Bauern Schulte nach Meinbach. Hoch oben auf dem Heuwagen hatte sie es sich bequem gemacht und starrte ganz in Gedanken in die Wolken. Ein leichter Wind streifte ihr durchs Haar und die Sonne schien ihr ins Gesicht. Die Gedanken flogen nur so vorbei und ihr wurde ganz wohlig und warm. Dabei musste sie wohl eingeschlafen sein, denn sie hatte einen wunderbaren Traum.

Eine Fee tippte ihr auf die Schulter und das leise Klingen eines Glöckchens klang ihr im Ohr. „Hallo, hallo liebe Kathi, höre mir gut zu! Deinem Onkel Hans gab ich einst das Rezept für seinen hellen Zuckerguss. Der machte die Menschen zufrieden. Dir gebe ich ein neues Rezept! Mische in deinen Schokoladenguss, welchen du so gern für die Hefekringel nimmst, noch eine andere Zutat. Dann rührst du zweimal rechts herum und fünfmal links herum. Dann murmelst du die Worte „Falloras falloridis“ und lässt den Guss mindestens fünf Minuten ruhen. Dieser Schokoguss macht die Menschen glücklich und sie vergessen alle Sorgen. Aber verrate niemandem das Rezept, sonst wirkt der Zauber nicht mehr.“ Dabei beugte sie sich zu Kathi herab und flüsterte ihr die letzte Zutat leise ins Ohr.

Der Kutschwagen fuhr durch ein tiefes Schlagloch und Kathi fiel fast vom Heuwagen. „Verflixt, nun war der schöne Traum dahin! Ach wenn sie doch nur eine solche Fee wirklich einmal treffen könnte“, dachte sie. Noch ganz genau wusste Kathi; was sie ihr ins Ohr geflüstert hatte. „Falloras, falloridis“, dachte Kathi und schüttelte ungläubig den Kopf. „Na wenn das mal gut geht.“

Sie erreichte Meinbach und fand auch sehr schnell die Bäckerei Kleeberg. Als sie vor dem Schaufenster stand, war ihr doch etwas mulmig und es kostete sie einige Überwindung, dem Bäckermeister gegenüber zu treten. Plötzlich überkamen sie Zweifel. War sie wirklich gut genug, eine Backstube zu führen? Würde sie das alles wirklich schaffen? –

Kathi war ratlos, lies den Kopf hängen und spürte wie ihre Knie zitterten. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten zusammen und lies die letzten Jahre noch einmal vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen.

Genau das wollte sie immer machen, deshalb war sie von Zuhause fort gegangen und genau darum hatte sie so lange gelernt. Eine eigene Backstube.

Sie straffte die Schultern, atmete tief durch und drückte mit einem Ruck die Klinke herunter.

Das alles ist jetzt genau ein Jahr her. Kathi hat den gütigen Bäckermeister sofort gemocht. Schon als sich der alte Mann und die junge Frau zum ersten Mal in die Augen gesehen hatten, wussten sie, dass die Entscheidung gefallen war. Kathi übernahm die Bäckerei Kleeberg und kam sehr schnell zu einem hohen Ansehen in Meinbach.

Nachdem sie ein paar Wochen in ihrer eigenen Backstube gearbeitet hatte, fiel ihr der seltsame Traum wieder ein. Was sollte sie noch zu dem Schokoladenguss mischen? Ach ja, es war ja nur noch eine ganz besondere Zutat und als sie das Pulver einrührte murmelte sie: „Falloras, falloridis“, lachte kurz über ihre eigenen Gedanken und stellte den fertigen Guss beiseite. Erst nach fünf Minuten Ruhezeit bestrich sie die Hefekringel und stellte sie zum Abtrocknen in das Lagerregal.

Weit über die Stadtgrenzen hinaus wurden die süßen Kuchen und ganz besonders Kathis Schokokringel, wie die Leute sie nannten, bekannt. Aus allen Nachbargemeinden kamen sie, um Kathis Hefekringel zu genießen. Die Menschen aßen oft schon direkt vor der Tür die erste leckere Nascherei und ein glückliches Lächeln erschien auf ihren Gesichtern. Mit dieser Bäckerin war das Glück nach Meinberg gekommen, so sagte man und trug die Kunde ins ganze Land.

Auch heute wird noch erzählt, dass Schokolade glücklich macht. Sicher werdet ihr jetzt lachen, mir einen Vortrag halten über Tryptophan, Serotonin, Anandamid und Phenethylamin. Aber zum Glück weiß ich das ja besser, denn ich habe diese Schokolade probiert und ja, sie macht glücklich, und vor allem zufrieden. Das seht ihr ganz besonders deutlich an meinem Lächeln.

Falloras, falloridis!

(c) Anja Brand

erschienen 2014 Autorenkreis Tintenfass ‚Unter unseren Dächern‘