Be quiet

Kenia, Land meiner Träume. Ich habe nie gedacht, es einmal mit eigenen Augen zu sehen.

Schon als kleines Kind hatten mich die Tiere, die auf dem schwarzen Kontinent lebten, fasziniert. Die Besuche in Tierparks oder zoologischen Gärten mit meinen Eltern waren immer der Höhepunkt des Jahres gewesen. Stundenlang hatte ich vor den Gehegen verweilt und den Tieren zugesehen.

Menschenaffen wie Schimpansen oder Orang Utans, die, nur von einer Scheibe von mir getrennt, meine Faxen nachgemacht hatten. Nilpferde, die immer dann abgetaucht waren, wenn die Besucher neugierig über die Mauer gestarrt hatten um sie zu beobachten. Löwen und Tiger, die faul in der Mittagssonne gedöst und eher wie ruhige Miezekatzen, als wie Raubtiere ausgesehen hatten. Da waren Nashörner gewesen, die sich das Gehege mit Zebras und Gazellen geteilt hatten. Giraffen hatten die majestätisch hohen Wipfel der Bäume nach Laub abgesucht. All diese Tiere hatte ich bewundert. Aber Elefanten waren schon immer meine große Liebe gewesen. Diese empfindsamen Riesen hatten mich von Anfang an in ihren Bann gezogen. Nichts hatte ich mir so sehr gewünscht, als sie einmal in freier Wildbahn zu sehen.

Dann, Jahrzehnte später, sollte es endlich wahr werden. Schon die Abreise in Frankfurt war für mich unglaublich spannend. Ich war innerlich aufgewühlt, unruhig und habe meine Reisepapiere immer und immer wieder durchgelesen. Da stand es schwarz auf weiß. Ankunft Mombasa in ca. acht Stunden und dreißig Minuten. Die Weiterfahrt nach Malindi dauerte noch einmal zweieinhalb Stunden. Der Urlaub würde drei Wochen dauern. Meine Ankunft in Mombasa hätte ruhiger nicht sein können, es war nach Mitternacht als ich aus dem Flughafen-gebäude in Richtung Bus Shuttle ging. Schwül-warme Luft schlug mir entgegen und nahm mir fast den Atem. Mir fiel sofort auf, dass der Geruch ganz anders war. Hier roch die Luft anders, süßlicher, schwerer. Mein Gepäck wurde verstaut und obwohl es jetzt weit nach Mitternacht war, saßen Bettler am Straßenrand und hoben bettelnd die Hände. Schon im Flugzeug hatte man uns auf diese Tatsache hingewiesen, sodass mich der Anblick von diesen armen Menschen nicht ganz so hart traf. Blitzartig wurde mir bewusst, wie gut es uns ging und mit welchen Privilegien wir bedacht waren.

Bis ich in meinem Hotel war, dämmerte es schon leicht. Todmüde fiel ich in meinem klimatisierten Zimmer, in das Bett und schlief direkt ein. Am nächsten Morgen erkundete ich die Ferienanlage und die nähere Umgebung. Dass bewaffnete Männer die Anlage bewachten, war für mich mehr als gewöhnungsbedürftig. Auch die Armut, die vielen bettelnden Menschen, die staubigen Straßen, machten mir an den ersten Tagen schwer zu schaffen. Nur langsam gewöhnte ich mich an die Situation, konnte aber trotzdem immer mehr Land und Leute genießen. Als kommunikativer Mensch bekam ich sehr schnell Kontakt zu fliegenden Händlern, zu den Bediensteten im Haus und zu den Betreibern der Bars und Geschäfte in der Nähe.

Und jetzt ist es endlich soweit. Nach ein paar Tagen in meinem Hotel in Malindi, beginnt für mich das Abenteuer Safari, denn ich buchte über die Reiseleitung vor Ort eine dreitägige Flugsafari in die Massai Mara, einem Naturschutzgebiet, dass man nur mit einem Flugzeug erreichen kann. Sie ist Teil der Serengeti und Kenias tierreichstes Reservat. Ohne Vorstellung, was mich während dieser Reise erwarten könnte, mache ich mich ein paar Tage später auf den Weg. Mit dem Wagen zum Flughafen und von dort mit einem kleinen zehnsitzigen Flugzeug in Richtung Massai Mara. Flugzeit ungefähr zweieinhalb Stunden, mit dem kleinen Flugzeug ein Erlebnis erster Klasse.

Über den Wolken erscheint, weit in der Ferne, der Gipfel des Kilimandscharo, dessen schnee-bedeckte Kuppe ragt aus dem Wolkenberg her-vor, wie ein Traumgebilde. Ich kann meinen Blick kaum abwenden.

Da wir nur vier Passagiere sind, darf ausgerechnet ich im Cockpit sitzen und werde diesen Flug nie wieder vergessen. Der Pilot zeigt mir immer wieder verschiedene Besonderheiten. Ob fliehende Großherden an Gnus und Zebras am Boden, oder die Farbenspiele der Sonne auf den schneebedeckten Hängen des Kilimandscharo. Zwischendurch muss ich mich immer wieder in den Arm zwicken, ich kann nicht glauben, dass ich das alles erleben darf. Sowas kenne ich nur aus meinen geliebten Tiersendungen mit Professor Grzimek oder mit Heinrich Sielmann. Zwei Stunden gehen aber leider viel zu schnell vorbei und wir landen auf einer Sandpiste mitten im Nirgendwo. Mit dem Jeep geht es weiter zum Camp, was wie eine Zeltstadt mitten in der Wildnis liegt.

Es ist Mittag, als wir das Camp erreichen. Der junge Mann, der das Camp leitet, begrüßt uns freundlich und berichtet, was uns in den nächsten Tagen erwartet. Morgens, schon vor dem Frühstück, direkt vor Sonnenaufgang geht es mit der ersten Pirsch des Tages los. Mehrere Aus-fahrten an allen drei Tagen sind geplant. Heute, direkt nach dem Bezug der Schlafplätze, einem Mittagessen und kurzer Mittagspause soll es schon losgehen. Er erklärt auch, dass im Moment die Kinderstube der Massai Mara geöffnet ist, weil sämtliche Tiere ihren vor ein paar Wochen geborenen Nachwuchs betreuen. „Welches Glück ich doch habe“, denke ich und freue mich unbändig auf die Pirschfahrten.

Als ich das erste Mal in dem Jeep sitze, wir sind übrigens wieder nur zu viert, stellt sich der Fahrer kurz vor und macht uns mit den Regeln bekannt. Peter, so heißt er, erklärt uns, dass wir nicht aussteigen dürfen, ohne seine ausdrückliche Erlaubnis, und dass der bewaffnete Begleiter auf dem Beifahrersitz zu unserem Schutz grundsätzlich dabei ist. Ansonsten sieht man seine schneeweißen Zähne blinken, wenn er lachend mit den Augen rollt und ein wichtiges Gesicht aufsetzt. Schon nach kurzer Zeit ist mir klar, er ist immer zu Scherzen aufgelegt und veräppelt mich, wo es gerade geht. Er spricht fließend Englisch mit einem außergewöhnlichen, afrikanischen Akzent, an den man sich erst einhören muss. Aber es geht immer besser mit uns und wir unterhalten uns lebhaft, während unsere Mitreisenden kaum etwas verstehen. Das ältere Ehepaar spricht überhaupt kein Englisch und die andere junge Frau hat mir vorhin schon erzählt, dass sie nie Englisch gelernt hat, aber sehr gut Russisch spricht. Ich schließe daraus, dass sie aus den neuen Bundesländern stammt und nehme mir fest vor, ihr und auch dem Ehepaar zwischendurch die wichtigsten Informationen zu übersetzten. Ich erzähle kurz, dass Peter den Motor äußerst selten ausmachen wird, um im Falle einer drohenden Gefahr sofort flüchten zu können. Tiere sind unberechenbar, besonders wenn sie sich durch ein sich näherndes Fahrzeug gestört oder gar bedroht fühlen.

In diesem Moment legt Peter seinen Zeigefinger über die Lippen und bedeutet uns leise zu sein. Ganz langsam nähern wir uns einer Baumgruppe, die mit viel Dickicht umgeben ist. Der Jeep rollt, kaum merklich, noch näher heran. Plötzlich sehe ich sie. Eine Gruppe Löwen liegt faul unter den Bäumen und döst. Der Kater, mit seiner üppigen Mähne, blinzelt kurz in unsere Richtung, scheint sich aber nicht wirklich für uns zu interessieren. Ich zähle insgesamt acht Tiere, aber Peter zeigt mit den Fingern eine zehn. Und richtig, einige Meter weiter spielen zwei Jungtiere miteinander. Die kleinen Löwenkinder tollen und fauchen, beißen sich und balgen miteinander. Es dauert eine Weile, bis ich meine Kamera nehme und erste Fotos mache. Schade, entweder habe ich schöne Fotos, oder ich kann in aller Ruhe die Tiere beobachten. Durch das Objektiv habe ich das Gefühl, nicht direkt vor Ort zu sein. Doch der Schein trügt, wir sind näher dran, als wir sollten. Mit lautem Gebrüll erhebt sich eine Löwin und schaut direkt zu uns herüber. Peter fährt langsam an und wir vergrößern den Abstand zwischen dem Löwenrudel und uns.

Wir bekommen heute noch mehr zu sehen. Giraffen, die mit ihren langen Hälsen über einige Bäume hinwegschauen. Genüsslich kauend behalten sie unseren Jeep stets im Auge. In einem nahen Fluss tummeln sich bestimmt dreißig Nilpferde im Wasser. Prustend heben sie immer wieder die Köpfe. Eine Gruppe Hyänen läuft am Steilufer auf und ab, als könnten sie sich nicht entschließen bis zum Wasser vorzugehen. Die Eindrücke, die ich heute sammeln kann, sind unbeschreiblich.

Peter erklärt, dass wir nun zum Camp zurück fahren. Es dämmert schon und die Dunkelheit kommt hier sehr schnell. Ohne Straßen, einfach nur so im Gelände unterwegs, das ist bei Dunkelheit alles andere als eine gute Idee.

Nach einem guten Essen im Camp und einer kleinen Unterhaltung mit meinen Mitreisenden, gehe ich schnell in mein Zelt, dass viel größer ist, als ich es am Mittag gedacht habe. Es gleicht einer Hotelsuite und besteht aus Wohnschlafraum und einem richtigen Badezimmer. Ich dusche ausgiebig und falle förmlich in mein Bett. Der Weckdienst ist für fünf Uhr dreißig bestellt, noch vor Sonnenaufgang. Ich freue mich auf den nächsten Tag.

Ich höre das leise Rufen an meinem Zelteingang. Schnell springe ich aus dem Bett und bin im Nu wach. Morgentoilette und fertig machen zur Morgenpirsch, das geht in Windeseile. Der schnelle Kaffee im Dämmerlicht ist schon fast Nebensache. Heute versuchen wir die großen Fünf aufzuspüren, Leopard, Löwe, Büffel, Elefant und Spitzmaulnashorn. Peter erzählt uns während der ersten Pirsch, dass wir den Leoparden erst am Abend sehen können, wenn es überhaupt klappt. Schon gestern hat man einen Köder in der Nähe des Camps ausgehängt, um das Tier anzulocken. Da es sich diesem Köder nur in der Dunkelheit nähert, haben wir heute noch eine Chance. Über Funk erhält Peter eine Nachricht und schlägt eine andere Richtung ein. Die Scouts berichten sich gegenseitig, wo es etwas zu sehen gibt und die Nachricht scheint gut gewesen zu sein, denn Peter lächelt verschmitzt. Als wir den Hügel erreichen und von dort aus in die niedrige Senke blicken können, liegt vor uns, von einem Strauch fast verdeckt, eine Gepardenfamilie, friedlich zum Frühstück um einen Kadaver versammelt. Peter fährt ganz langsam immer näher heran. Als wir nur noch 5 Meter entfernt sind, stellt er den Motor einfach ab und wir sehen den Tieren zu. Bis in den Jeep hören wir die Knochen knacken, als die kleinen Katzen sich über das Fleisch hermachen. Genüsslich wird gekaut, geleckt und geschmatzt. Die Mutter liegt mit blutverschmiertem Maul seelenruhig da-neben. Ihre Schwanzspitze geht langsam auf und ab und zeugt von großer Aufmerksamkeit. Peter erklärt, dass diese Katze schon sehr lange an die beobachtenden Menschen in den Autos gewöhnt ist und hier ihre dritte Kinderschar aufzieht. Das erklärt ihre Gelassenheit und auch, dass sie uns so nah an ihre Kleinen heranlässt. Ich muss mich losreißen von diesem Anblick, um überhaupt ein paar Fotos machen zu können. Ich habe das Gefühl, als wenn selbst das leise Klicken der Kamera zu laut und somit störend ist.

Nach dieser schönen Begegnung und dem Sichten von einer Horde Pavianen, die weiter weg entlangzieht, von Geiern, die um einen Kadaver versammelt sind, kleinerer Gazellen und Gnugruppen, geht es zurück ins Camp zu einem ausgiebigen Frühstück. Leise, fast flüsternde Unterhaltungen und oftmals auch nur ein Schweigen zeugen davon, wie sehr wir alle er-griffen sind von den Eindrücken dieser Safari. Dazu kommen das leckere Frühstück und die ausgesprochene Freundlichkeit der Menschen, die sich hier um unser Wohl bemühen.

Das Frühstück ist zu Ende und wir fahren direkt wieder los. Was uns wohl erwarten wird? Wir fahren schon eine ganze Weile und es macht den Eindruck, als würden sich die Tiere vor uns verstecken. Unerwartet bietet sich uns ein atemberaubender Anblick, als wir eine Anhöhe erreichen und wir weit ins Land sehen können. Eine große Antilopenherde zieht vor unseren Augen vorbei. Peter zeigt auf eine große Baumgruppe. Zuerst kann ich es nicht richtig erkennen, was er uns zeigen will, doch dann sehe ich es ganz deutlich. Eine Horde Elefanten hat sich dort versammelt. Peter fährt wieder an und ich denke, dass es sehr schade ist, dass meine geliebten Elefanten so weit weg sind. Wir fahren einen großen Bogen und jetzt bemerke ich, dass wir langsam auf die Baumgruppe zufahren. Peter hält an und prüft aus welcher Richtung der Wind kommt. Noch zweimal ändert er kurz die Richtung, immer wieder hält er prüfend den Finger hoch. Jetzt scheint die Richtung zu stimmen. In der Nähe, aber doch in gebührendem Abstand hält er an und wir sehen die friedlich grasenden Elefanten. In diesem Moment wird mir auch klar, warum Peter sich so vorsichtig genähert hat. Zwischen den großen Tieren steht, klein wie ein Zwerg, ein kleiner Elefant, der sich immer wieder schützend an die riesigen Beine seiner Mutter drückt. Plötzlich ändert sich die Windrichtung und sie hebt drohend den Rüssel. Sofort gibt Peter richtig Gas und wir rasen über die trockene Steppe. Als ich mich umsehe, weiß ich auch warum er es so eilig hat. Die Elefantenkuh ist uns drohend und trompetend ein Stück gefolgt, bis der Abstand zwischen uns und ihrem Jungtier groß genug ist. Ein eindrucksvolles Schauspiel von Mutterliebe.

Für den Nachmittag hat Peter angekündigt, uns vielleicht ein ganz besonderes Schauspiel zeigen zu können und deshalb sitzen wir jetzt alle erwartungsvoll in unserem Jeep. Peter bekommt eine Nachricht per Funk und dreht sich lächelnd zu uns um.

„I`m happy, it`s possible!“ sagt er und seine weißen Zähne leuchten. Er rollt mit den Augen und trällert fröhlich ein Lied. „Jambo, Jambo bwana, Habari gani, Mzuri sana“, singt er und so rollen wir schaukelnd durch die Massai Mara.

Von weitem sehen wir, nahe eines Busches, ein Nashorn, das sich schützend vor ein weiteres Tier stellt. Je näher wir kommen, desto besser er-kennen wir, dass es sich hier um eine Kuh mit einem Jungtier handelt.

Als sich die Kuh schützend quer vor ihr Kalb stellt, lässt Peter den Jeep fast lautlos ausrollen. Mit laufendem und sehr leise tuckerndem Motor stehen wir in einem Abstand von circa fünfzig Metern von den Tieren entfernt. Die Kuh stellt immer wieder die Ohren in verschiedene Richtungen und starrt uns ansonsten bewegungslos an.

Peter dreht sich zu uns und legt den Zeigefinger auf den geschlossenen Mund. „Be quiet“, flüstert er kaum hörbar, „be quiet!“

Die Kuh schnaubt kurz auf, scharrt mit dem rechten Huf und senkt angriffslustig den Kopf, als wolle sie uns aufspießen.

Peters Stimme wird beschwörend etwas lauter: „Be quiet, be quiet! And do not move!“

In diesem Moment beginnt die Nashornkuh mit gesenktem Kopf auf uns zuzulaufen. Sie wird schneller und sie scheint auf uns zuzurasen. Automatisch halten wir den Atem an, keiner regt sich und ich starre mit weit aufgerissenen Augen auf das wilde Tier. Drei Meter vor dem Jeep bremst die Nashornkuh abrupt ab. Sie rammt alle vier Hufe in den staubigen Boden und rutscht noch ein kurzes Stück auf den Jeep zu. Bleibt kurz davor stehen, schnaubt noch einmal kurz auf und dreht sich zu ihrem Kalb um. Dann trabt sie gemächlich zu ihrem Kalb zurück.

Ich starre Peter fassungslos an und der beginnt schallend zu lachen, während er gemächlich den ersten Gang einlegt und losfährt. „It was a sample attack, she see very bad!“ Peter lacht und lacht und lacht, während wir immer noch wie erstarrt auf unseren Plätzen sitzen. Nach einer Viertelstunde erreichen wir eine Gruppe Büffel, die friedlich grasen. Meine Finger zittern immer noch und ich habe Mühe meine Fotos zu machen.

Es ist Abend und langsam wird es dämmrig. Wir haben das Camp erreicht und nach einer kurzen Erfrischung in meinem Zelt, freue ich mich auf das Abendessen. Die Angestellten des Camps haben eine Schale mit aufgeschnittenen Früchten auf einen kleinen Extratisch gestellt. „For the Buschbabys“, haben sie gesagt. Wir sind noch nicht ganz versammelt, als sich auf dem Zeltdach etwas bewegt. Erst kaum merklich, dann immer lauter werdend. Kleine Füße trappeln über die Zeltplane. Lachend zeigt die Bedienung des Buffets auf die Seitenwand. Eine kleine haarige Hand umfasst den Rand der Plane, eine zweite folgt und dann schaut ganz langsam, wie in Zeitlupe, ein kleiner haariger Kopf mit Fledermausohren und riesigen Augen vorsichtig um die Ecke. Die junge Frau am Buffet reicht dem kleinen Kerl langsam ein Stück Frucht, welches das Tier sofort nimmt und damit verschwindet. Sie winkt mich heran und fordert mich auf, es ihr gleich zu tun. Ich nehme ein Stückchen Banane und als wieder eine kleine Hand nach der Leckerei verlangt reiche ich sie vorsichtig herüber. Jetzt kommen immer mehr Tiere und bald werden wir von einer ganzen Gruppe umlagert. Jetzt machen sich die Galagos, wie die Tiere eigentlich heißen, nicht mehr die Mühe ihre Beute hinter dem Zelt zu verspeisen. Laut schmatzend fressen sie in aller Ruhe ihre Beute direkt hier auf. Als ihnen die freundliche junge Dame nach einiger Zeit die leere Schüssel zeigt, machen sich die Buschbabys schnell davon.

Jetzt ist es auch für uns Zeit für das Abendessen und wir genießen unsere Mahlzeit. Schnell finden sich kleinere Gruppen, die sich gegenseitig die Erlebnisse des Tages berichten. Ich erzähle natürlich auch unser Erlebnis mit Peter und jetzt kann ich auch darüber lachen. Der Leiter des Camps gesellt sich zu uns und verspricht uns noch ein eindrucksvolles Schauspiel. Kurze Zeit später holt er uns zu unserem Beobachtungs-punkt und wir sind fasziniert von den Bildern in einiger Entfernung.

Der Leopard ist da und tut sich an dem ausgehängten Köder gütlich. Es wurde extra ein Scheinwerfer installiert um uns diese Beobachtung zu ermöglichen. Die große Raubkatze springt geschmeidig den Köder an und reißt ihre Beute eindrucksvoll. Auch als das Tier schon lange wieder verschwunden ist, kann ich mich kaum losreißen und starre immer noch den großen Baum an, auf dem der Köder ausgelegt war.

Ich sitze in der kleinen Maschine, die uns zurück bringt nach Malindi. Jetzt, auf dem Rückweg, sitze ich hinten in der Maschine, schaue aus dem Fenster und als wir über eine große Horde Gnus und Zebras fliegen, kann ich gar nicht fassen, dass ich das alles hier erlebt habe. Ich kann mich gar nicht satt sehen und weiß jetzt schon, dass ich die Massai Mara nie wiedersehen werde. Ich kann es nicht erklären, es ist so ein Gefühl des Abschieds, der für immer sein wird. Mir laufen ein paar Tränen und ich winke dem wunderschönen Fleckchen Erde noch einmal zu.

Die restliche Zeit vergeht viel zu schnell. Ich bin jetzt schon einige Wochen wieder zurück und immer, wenn ich mir die wunderbaren Bilder anschaue, erwacht vor meinem geistigen Auge die wunderbare Wildnis der Massai Mara. Ich höre die Buschtrommeln, die Laute der einzelnen Tiere, das fröhliche Lachen der Menschen.

Ich sehe auch Peter vor mir, höre wie er ausgelassen lacht, oder sehe sein breites Lächeln und wenn ich in unserem Wald unterwegs bin und einzelne Tiere beobachte höre ich oft seine Stimme:“ Be quiet“, sagt er leise, „be quiet!“

(c) Anja Brand

veröffentlicht 2015 Autorenkreis Tintenfass ’streckenweise‘